Der brave Soldat schwejkt

Kommiss-Kram
  • Für Patrick und Flavia

Kinder, Soldat wollte ich eigentlich nie werden. Mir fehlte immer schon die erforderliche Demut, anderen Menschen widerspruchslos zu gehorchen. Vor allem solchen, die befehlen und erst später über die Konsequenzen für ihre Soldaten nachdenken, wenn überhaupt. Ist ja nicht ihr Arsch, der in die Schusslinie gerät. Glaubt mir, ich habe etliche dieser Typen erlebt, die unfähig waren, einen Eimer Wasser umzukippen, aber kaum hatten sie zwei Mann unter sich, schwoll ihnen die Brust. Macht bedeutet Verantwortung und das liegt halt nicht jedem. Bei vielen offenbaren sich alsbald Charakterdefizite.

Der Pazifist als Soldat

Soldaten lieben den Frieden, doch feindseliger Gewalt ist mit guten Worten allein nicht beizukommen. Deshalb schätze ich Wehrhaftigkeit durchaus hoch ein. Unsere Grundrechte sind keine gottgegebene Selbstverständlichkeit, sie wurden teuer bezahlt, vielfach mit Blut. Von Menschen, die ihr Leben einsetzten, um Deutschland vom einen verbrecherischen Regime zu befreien. Demokratie und Freiheit gibt es nicht zum Nulltarif. Man muss auch bereit sein, sie zu verteidigen.

Euer Opa, mein Vater Gerhard Gottaut (1924 – 2021), hat den Krieg als Jugendlicher und als Soldat erlebt. Menschen wurden von einer verbrecherischen Bande von Verführern und deren willfährigen Erfüllungsgehilfen um ihre Jugend, ihre Gesundheit und millionenfach um das Leben gebracht. Auch um ihre Heimat – mein Vater war Ostpreuße aus Königsberg, das heute Kaliningrad heißt. Anders als andere ging er offen mit seinem Beitrag in der NS-Zeit um, damit sich Geschichte nicht wiederholt. Seinen Kindern sollte so etwas nicht passieren. Er erklärte, wie Erwachsene und Kinder durch »Fake News« verführt und wie Mitmenschen kritiklos dem Lynchmob überlassen wurden – schuldig werden durch zugucken, durch unterlassen. Er bestärkte uns darin, alles zu hinterfragen, sich nicht mit Ausreden abspeisen zu lassen: »Glaubt bloß nicht alles, was man euch erzählt!«, lautete sein Rat an uns. »Nur, weil es in der Zeitung oder in einem Buch steht, heißt es noch lange nicht, dass es auch wahr ist!«

Irgendwann stand ich also vor der Frage, ob ich bereit war, Deutschland (und damit meine Freiheit) gegen einen Angriff von außen zu schützen. Das Beispiel Polens, das 1939 von Deutschen UND (!) Russen überfallen wurde, war nicht nur mir eine eindringliche Warnung, wohin Wehrlosigkeit letztlich führt. Das Drücken vor der Konsequenz, den Preis der Freiheit zu zahlen, war für mich keine Option. Zudem war euer Opa Vorsitzender der Musterungskommission. Wie könnte ich meinen Vater um der eigenen Bequemlichkeit Willen anlügen? Etliche meiner Klassenkameraden (wir waren die direkten Nachfolger der 68-er) verweigerten wegen »Gewissenskonflikten« den Wehrdienst. Mein Vater winkte sie durch. »Weißt du, Sohn«, sagte er mir später einmal, »ich wollte nicht, dass dein Leben im Ernstfall von Menschen abhängt, die eher fliehen, als dir beizustehen!« – Er hatte schon gute Ansichten, mein alter Herr.

Selbstredend hätte auch ich gerne das einfache Soldatendasein vermieden. Ich wollte Pilot werden, wie mein Vater. Er flog eine JU-88, mein auserwähltes Muster wäre der Alpha-Jet gewesen. Senkrecht wie eine Rakete mit dem »Alpha« in den Himmel zu steigen, das war mein Traum! Top Gun mit Tom Cruise gab’s zwar noch nicht, aber ich spürte schon »die Gier, die Gier nach Tempo« in mir. Ein Sportunfall beim Fußball machte alles zunichte. »Stellen Sie sich vor, Sie müssen bei Mach nullneun mit dem Schleudersitz raus«, hieß es in der Tauglichkeitsprüfung, »und das mit einem vorgeschädigten Meniskus.« – »Wenn ich bei Mach 0.9 aussteigen muss, habe ich vermutlich ganz andere Probleme als meinen lädierten Meniskus.« – Es nutzte nichts.

Flieger fliegen Vögeln gleich

Ganz verzichten konnte/wollte man auf den Modellsoldaten dennoch nicht. Ich wurde ein Jahr zurückgestellt. Fliegen könne ich nicht, marschieren schon. Ob das denn schonender für meinen Meniskus sei, wollte ich wissen. Die Antwort steht immer noch aus. Man kann eben eine Sache logisch angehen oder so wie beim Militär. Im Juli 1977 rückte ich ein, ins Luftwaffenausbildungsregiment 2 in Budel, Niederlande. Als »Bodenverteidigungssoldat« mit dem Dienstgrad »Flieger«! Ja, unfreiwilligen Humor besaß die Truppe. Man ließ mich nicht fliegen, aber wenigstens nannte man mich so. Wenigstens erhielt ich eine Auslandszulage, hurra! Drei Monate doppelter Wehrsold (165 DM x 2) und einkaufen im Duty-free: Dunhill, Benson & Hedges und Rothman’s stangenweise; Vat ’69, Teacher’s und Gordon’s Dry Gin in Gallonen-Gebinden. Und dann die berühmten holländischen Frikantjes vom Imbisswagen am Standort. Mit »Was soll’s sein, Hermann?« oder »Der nächste Hermann!« wurden wir vom Fritten-Piet angefrotzelt. Wegen Hermann Göring, dem fliegenden Reichsjägermeister. Wir revanchierten uns entsprechend: »Weißt Du brabanter Altöl-Sieder eigentlich, warum holländische Kinder so lange Ohren haben?« – »Nee, dat weet ik nijt!« – »Weil holländische Eltern ihre Blagen immer an den Ohren über den Schlagbaum heben und sagen: Kiek ma’, da drüben wohnt der Weltmeister!«

So war das zwischen Holländern und Deutschen. Wir waren inzwischen NATO-Partner, aber vergessen oder gar verziehen war noch lange nichts. Auch und gerade im Fußball nicht. Aber sonst kamen gerade wir jungen Menschen gut miteinander aus. Vor allem mit den Meisjes. »Ik houd van jou«, war so das Erste, was man auf Holländisch lernte. Nee, eerlijk gezegd was dat de uitdrukking »klootmoff«, aber A…loch fand ich an dieser Stelle irgendwie unpassend. Weil wir in Wesel erstens hollandnah wohnten und wir zweitens ständig Radio Hilversum oder Radio Veronica hörten, kamen wir ganz gut klar. Nicht nur sprachlich. Man fand schnell Anschluss bei den Meisjes, aber spätestens nach den 3 Monaten Grundausbildung war wieder Schluss. Soldatenlieben währten nur kurz und zurück blieben traurige Herzen.

Vor der Kaserne, Lili Marleen!

Mich verfolgte einmal eine besonders Hartnäckige. Die Tochter eines deutschen Soldaten hatte den heimischen Zapfenstreich eigenmächtig verlängert und nun wollte sie was erleben. Ich war ihr Auserwählter. Um den aufdringlichen Teenie loszuwerden, sagte ich unbedacht dahin, sie könne mich jederzeit auf meiner Stube in der Kaserne besuchen – wer nimmt so was schon ernst! Für mich war der Fall damit erledigt, schließlich war es kurz vor 22 Uhr – Zapfenstreich!

Von wegen erledigt – des Frühchens Abenteuerlust war entflammt. Zuerst versuchte sie, die Wache am Panzertor zu becircen: Man möge sie doch bitte zu einem bestimmten Flieger lassen – sie sei seine Freundin. What the f…? Danach versuchte sie erfolglos, den Zaun an verschiedenen Stellen zu überwinden. Daraufhin wechselte sie zur Wache am Haupttor. Gleiches Spiel, dasselbe Ergebnis: kein Einlass! Daraufhin bewarf die Göre die Posten mit leeren Flaschen und Dosen. Außerdem beeindruckte sie die Soldaten mit profunden Kenntnissen hinsichtlich deutscher und holländischer Fäkalausdrücke. Ganze Schimpftiraden ergossen sich über den Wachhabenden, der sie schließlich in Gewahrsam nehmen musste.

Am nächsten Morgen schallte der Ruf durch meine Unterkunft: »Flieger Gottaut in die Schreibstube!« Mit dem denkbar besten Gewissen machte ich mein Männchen. »Sagen Sie mal«, begrüßte mich der Spieß, »sind Sie hier als Don Juan engagiert?« – »Wie meinen Herr Hauptfeld?« – »Ich habe hier Meldungen vom Wachhabenden, vom OvWa (Offizier vom Wachdienst), vom Bataillon und vom Kasernenkommandanten bezüglich eines gewissen Fliegers der 3. Kompanie, der sich nächtens eine Besucherin einbestellt. Und weil man die weibliche Person nicht zu besagtem Flieger vorlässt, versucht die es mit Gewalt und ist letztlich nur durch das beherzte Eingreifen der kompletten Wachmannschaft zu bändigen! Ich muss schon sagen, Sie führen sich ja prächtig ein! Können Sie Ihre amourösen Angelegenheiten nicht vor dem Zapfenstreich erledigen?« – »Herr Hauptfeld, es ist mir unbegreiflich, wie dieses junge Ding derart austicken konnte. Ich versichere Ihnen …« – »Wissen Sie Tiefflieger eigentlich, wer das junge Ding war?« – »Herr Hauptfeld, ich habe keinen blassen Schimmer!« – Wie sich herausstellte, war das Mädel wohl die Tochter eines »Goldfasans«. Das ist so ein Knabe mit viel Lametta und Girlanden, schlagt das mal in eurem »Reibert« nach.

Puuuh, das Töchterchen war erst fünfzehn – und so ein Frühchen ließ der Papa abends unbewacht. Es ging gut aus für mich. Bei den Kameraden stieg mein Ansehen und der Alte lachte sich eins, hatte er zuhause doch wieder was zu erzählen. Außerdem hatte ich bei ihm ein Stein im Brett. Es standen Bataillonsmeisterschaften an, in der 100 m Staffel und ich hatte mich freiwillig gemeldet. Wenn ich auch nur auf den ersten 50 Meter richtig schnell war, Teil der Staffel zu sein, brachte unbestreitbar Vorteile mit sich: Befreiung vom Exerzieren, stattdessen leichtes Training und Ausmassieren der Muskulatur im San-Revier statt Revierreinigen. Es kam noch besser: der Doc war gleichzeitig unser Lauftrainer! Unsere Devise lautete »tarnen, täuschen und verpissen«. Also gaben wir immer Lauftraining und Ähnliches an, um uns vor dem normalen Dienst zu drücken. Man durfte nur nicht auffallen, sonst gab’s Druck und EPa (Einsatz- oder auch Ein-Mann-Paket war das Synonym für zu vermeidende, weil unangenehme Folgen).

Geist  DIE Waffe »bei’s Militär«

Auch sonst musste man sich zu helfen wissen. Bei der Einkleidung gab’s Knobelbecher wie zu unselig Landsers Zeiten. Sollten etwa erst noch vorhandene Wehrmachtsbestände an uns verbraucht werden? Ohne Witz, das Zweibein meines MG-42 aus dem 2. Weltkrieg, zierten noch Reichsadler und Hakenkreuz. Und das 1977! Neue und bequemere Springerstiefel gab es zwar, die rückte der Kammerbulle aber nicht raus: »Solange es noch welche gibt, kriegt ihr Stoppelhopser Knobelbecher!« – »In spätestens einer Woche hole ich mir Springer ab!« – »Das träumst du!« – »Woll’n wir wetten?«, grinste ich ihn an. Planvolles Vorgehen ist alles, auch beim Bund. Ich ab zu meinem Staffel-Arzt: »Doc, ich brauch ein Rezept!« – »???« – »Fußbett-Einlagen!« – Nächste Station Kompaniefeldwebel: »Herr Hauptfeld, ich benötige einen Passierschein!« – »Wieder ‘ne Weibergeschichte?« – »Orthopädiegeschäft.«

Zwei Tage später wieder zum Spieß: »Herr Hauptfeld, ich benötige einen Passierschein!« – »Was denn nun schon wieder?« – »Die Einlagen sind fertig!« – »Hauen Sie schon ab!« Anschließend wieder zum Doc.  »Werner, ich brauch ein Rezept.« – »Für was diesmal?« – »Springerstiefel« – »???« – »Mit den Einlagen komme ich nicht mehr in meine Knobelbecher. Ich benötige Schnürstiefel!« – Kurz darauf stelle ich die alten Stiefel geräuschvoll auf der Kleiderkammertheke ab: »???« – »Umtauschen. Springerstiefel. Wenn’s geht zügig, ich hab’ heute noch Dienst.« – »Was fällt …« – Ich zücke Attest und Rezept: »Hier, etwas Lesestoff.« – »Willst du mich verar…« – »Schönen Gruß vom Bataillonsarzt: Er steht für Rückfragen zur Verfügung. Und vergiss nicht die braune Schuhcreme!« – So macht man das!

coolguy@nato (1978)

Beim Bund will dir immer irgendeiner was beweisen. Meistens sind es die unteren Chargen, die ihre Komplexe abreagieren. Aber auch Hauptleute, denen der weitere Aufstieg versagt blieb. So einer war der Kasernenkommandant in meiner Stammeinheit, dem LwUGrpKdoN Münster. Die kryptische Abkürzung steht für Luftwaffenunterstützungsgruppenkommando Nord. Also LwUGrpKdoN, nicht Münster. Münster ist überhaupt keine Abkürzung. Im Gegenteil, Münster dauerte 12 Monate. Aber ich schweife ab. Wo war ich? Richtig. Manfred-von-Richthofen-Kaserne. Samstagabend, ich stehe Wache am Haupttor. Der »Alte« fährt vor. Neben ihm sitzt seine Frau. Ich will beide durchwinken. Er pflaumt mich an: »Wollen Sie keine Personenkontrolle durchführen?«  – »Herr Hauptmann, sind Sie es denn nicht?« – »Das sehen Sie doch, Gefreiter! Ich meinte ja auch meine Frau!« – »Ist das wirklich Ihre Frau!« – »Das habe ich doch wohl gerade gesagt!« – »Dann dürfen Sie jetzt passieren. Ich werde mich hüten, das Wort meines obersten Wachvorgesetzten anzuzweifeln. Ich werde also in der Besucherliste vermerken: Frau …, ausgewiesen durch persönliches Zeugnis von Herrn Hauptmann. Ich wünsche einen angenehmen Abend!« – Man konnte förmlich sehen, wie die Luft aus ihm entwich wie aus einem angepieksten Schlauch. Ich grüßte zackig. Seine Frau grinste mich unverhohlen an. Soldatenfrau zu sein, ist oft kein leichtes Schicksal.

Auf Wache

Wache schieben ist eine Qual. 24 Stunden Wache gehen, von 12 Uhr bis zum nächsten Mittag, nachts nur zwei bis drei Stunden Schlaf in einer miefigen Koje. Kaum schläft man ein, wird man schon wieder geweckt und muss für zwei Stunden erneut raus, bei jedem Wetter. Nach der Wache normaler Dienst bis zum nächsten Mittag und danach wieder 24 Stunden Wache schieben. Vierzehn Tage am Stück, dann eine Woche wachfrei. Nach zwei Wochen Wachdienst ist man blass wie eine Wachsleiche. Irgendwann hatte ich es dick und ging zum Spieß. »Man hat uns anfangs gesagt, dass wir nach drei Monaten in den Stab wechseln würden und nun höre ich, dass ich bis zum Ende meiner Dienstzeit den Wachmufti machen soll.« – »Tut mir leid, Flieger, da sind Sie wohl einer Latrinenparole zum Opfer gefallen.« – »Sorry, Herr Hauptfeld, ich bin nicht zur Bundeswehr gekommen, um Opfer zu werden! Hiermit melde ich mich offiziell zum Reserveoffizierslehrgang in Roth!« – »Dafür ist heute Anmeldeschluss!« – »Na, wie sich das trifft! Und bitte melden Sie auch den Kameraden Holstein! Wir kommen dann in einer halben Stunde vorbei für den Schriftkram!« – »Haben Sie beide nicht gleich Wachdienst?« – »Stimmt, aber wir sind gottseidank noch nicht vergattert worden. Für solche Fälle gibt’s ja die Wachreserve.« – »Mann, Gottaut, Sie sind vielleicht ‘ne Marke. Na, der Wacheinteiler wird kotzen, aber meinetwegen. Also dann, bis in einer halben Stunde!«

Münsters »Bad Boys«

Der Schreibstubenhengst tobte mit Schaum vorm Mund, musste er jetzt doch auf die Schnelle Ersatz für uns finden. Er hatte uns sowieso auf dem Kieker, Abiturienten konnte er nicht leiden. Zugegeben, wir konnten tatsächlich nix, was für den Alltag taugte. Schreibmaschine oder Handwerk – absolute Fehlanzeigen! Diskutieren, ja, das hatte man uns beigebracht, doch das war beim Kommiss nicht gefragt. »Aber morgen schiebt ihr beiden wieder Wache!«, frohlockte er böse. »Das glaube ich nicht, Herr Feldwebel. Die ganze restliche Woche sind Eignungsprüfungen für den Lehrgang. Danach habe ich Urlaub und dann fängt schon der Lehrgang in Roth an. Flieger Gottaut meldet sich ab!« Ich salutierte, machte kehrt und marschierte aus der Schreibstube. Ich wusste, ich hatte einen Feind mehr. Mir war klar, der Mann hatte eine Rechnung mit mir offen und bei passender Gelegenheit würde er sie mir präsentieren. Es kam tatsächlich was nach, und zwar bei meiner Entlassung aus dem Wehrdienst. Doch dazu später –

Lieb Vaterland, magst ruhig sein …

Auf Wache erlebt man schon so einiges. Viele erzählen von ihren Spökskes, die auf Wache passiert sind. Mein Bruder (Heer) berichtete mir launig von Wachpartys mit Mädels und wie man die beim Auftauchen des OvWa kurzerhand in die Spinde der Wachstube verfrachtete. Einmal ging sogar ein Schuss in die Decke. So geschehen bei einer Wachablösung. Für jeden Wachgang bekommt man die Munition für ein volles Magazin seiner Waffe, in der Regel ein G-3, einzeln abgezählt und in der Mun-Kladde vermerkt. Dann heißt es (immer schön das Rohr nach oben) »teilladen« (Magazin einführen), »fertigladen« (Patrone im Rohr) und »sichern«. Wenn man das Ganze erst bei Gefahr im Verzug macht, kann es schon zu spät sein. Darum: Don’t mess around with guards – deren Waffen sind scharf! Jedenfalls geht es umgekehrt genauso: Magazin raus, entladen, Rohr nach oben und Entspannschuss!

Jedenfalls sollte dies im Regelfall so ablaufen. Leider hielt Kamerad Schnellschuss sich nicht an die vorgegebene Reihenfolge – nach dem Teilentladen (Magazin raus) ging er gleich über zum Entspannschuss. Es knallte kurz und trocken, dann regnete Mörtelstaub vom Torbogen herunter, unter dem die Wachablösung stattfand. Mein Bruder war Wachhabender. »Hol sofort den Schuss zurück!«, lautete sein Kommentar. Wenn Munition fehlte, gab’s erstens unangenehme Untersuchungen und zweitens Druck und EPa – wer braucht sowas schon! Wie solche Sachen ausgehen? Nun, im glücklichsten Fall hatte der Waffen- und Geräte-Mensch (verbotene) schwarze Bestände und half einem aus der Patsche. Darum hielt man sich die Kameraden möglichst warm. Ansonsten hieß es Berichte schreiben und Diszi (Disziplinarstrafen).

Dergleichen ist mir glücklicherweise nie passiert. Dafür andere Dinge, die es gottlob nie in die Rubrik »Besondere Vorkommnisse« geschafft haben – sonst hätte ich meine Dienstzeit um mehrere Monat Bau überziehen müssen. Ist inzwischen wohl alles verjährt, aber vorsorglich trotzdem hier ein Disclaimer:

Alle hier geschilderten Vorkommnisse sind rein fiktiv. Jede Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Ereignissen und Menschen wären zwar nicht zufällig oder ungewollt, aber dingens … äh… kann mich nicht mehr erinnern.

Zum Kasernengelände (Manfred-von-Richthofen) gehörte ein L-förmiger Bau, in dem die Stabskompanie mit Unterkünften, Kantine, das Luftwaffen-Musikkorps sowie der Divisionsstab untergebracht waren. Diese Objekte mussten wir schützen, Tag und Nacht, 24/7. Posten stehen und Streife laufen. Dazu gehörte noch das Truppendienstgericht, dass ich zum Glück nur beim Streifendienst kennenlernen musste. Das Gebäude war eine wunderschöne und großzügig dimensionierte Villa. Der oberste Richter hatte ein wunderschönes, mit Holz vertäfeltes Dienstzimmer. Ausstattung vom Feinsten, mit prächtig gefüllter Bar und sogar ein großes Badezimmer war angegliedert.

Wir hatten den Schlüssel. Leider musste man auch während des Wachgangs »Besuchszeiten« einhalten. Es gab festgeschriebene Zeitfenster und es hätte durchaus sein können, dass ein dienstgeiler OvWa das mal kontrollierte. Gottseidank wollten die meisten Wachoffiziere, wenn nicht gar alle, ihre Ruhe haben. Luftwaffensoldaten, und gerade die bei einem Generalstab, waren diesbezüglich nicht sonderlich vergnügungssüchtig. Und so wurden wir mit der Zeit mutiger. Ich erinnere mich, mit den oben gemachten Einschränkungen (s. Disclaimer), an einen klirrend kalten Wintertag. Mit meinem Wachkameraden betrat ich das Truppendienstgericht. Eine wohlige Wärme (damals heizte man noch) empfing uns. Es war wie das Heimkommen nach einem Schneesturm. Trotzdem oder gerade weil ich durchgefroren war, fröstelte ich noch stärker. Ich musste mich dringend von innen aufwärmen und erinnerte mich an die gut bestückte Bar des Truppengerichtsrats: Armagnac, Rum, Cognac, Whisky – alles was Leib und Leber erfreute, hatte Kamerad Gerichtsrat gebunkert. Mit dem Zweiten sah ich besser, nach dem Dritten wurde mir wärmer. Nur Füße und Beine waren noch eiskalt – die Dienstbekleidung war eher was für den Übergang, aber kein wirklicher Kälteschutz.

Kurzentschlossen ließ ich mir ein Bad ein. Nach zwanzig Minuten war ich wohlig durchgewärmt und alle Glieder waren wieder auf Betriebstemperatur. Nur abtrocknen ging nicht – erstens waren die Handtücher unbenutzt und zweitens, wer wusste schon, wie lange die nachher zum Trocknen bräuchten? Gottseidank war der Kamerad noch Echthaarbesitzer, also her mit seinem Fön – oder gehörte der seiner Sekretärin? MIr war’s egal – frage nicht, wofür ein Ding gebaut wurde, sondern wozu es taugt! Zehn Minuten später war ich trocken. Zum Abschluss noch einen kleinen Rum, Bad und Gläser in den vorherigen Zustand versetzt und ab mit uns ins Freie. Den Stunt haben wir aber nur einmal gemacht. Ansonsten lief es bei Starkregen oder in Frostnächten so ab, dass man sich entweder in den Privat-PKW verfügte oder in die eigene Unterkunft. Alles in allem hatte man Glück, denn alle Extratouren stellten Wachvergehen dar und das Wehrstrafgesetz versteht da keinen Spaß.

Es gab auch zivile Wachgesellschaften, die uns unterstützten. Wir hatten einen Hundestreifenführer. Er war ein Rentner, der sich nebenbei was dazu verdiente. Einmal wurde ihm unsere Auszeiten zu viel und er wollte uns hinhängen. Kurz darauf, es war mitten in der Nacht, passten wir ihn ab. Man könne sich doch vielleicht einigen, schlugen wir vor und baten ihn in die Unteroffiziersmesse. Im Eingangsbereich stand ein Getränkeautomat, aus dessen Tiefen wir ihn großzügig mit Bier versorgten. Sicherheitshalber »tauften« wir es noch mit Vodka vom Gerichtsrat. Als er ein ausreichendes Quantum erreicht hatte, fragten wir beiläufig, ob er seinen Job gerne mache. Ja klar, er brauche das Geld. Ob er das mit dem Kasernenkommandant abgesprochen habe, dass er während des Dienstes Alkohol konsumieren darf. Er wusste sofort, was wir meinten und wurde bleich. »Das könnt ihr doch nicht machen«, stammelte er. »Pass auf Kollege,« erwiderte ich, »quid pro quo – du vergisst uns und wir vergessen das mit dir. Ansonsten führen wir dich jetzt ab und machen im Wachlokal einen Alkoholtest.« Er hat sich daran gehalten und alles war wieder Friede, Freude, Eierkuchen. Wer da frei ist von Fehlern, der werfe den ersten Stein!

Der Reserveoffiziersanwärter

Mein Reserveoffizierslehrgang in Roth bei Nürnberg begann irgendwann im Winter 1977/78. Anreisetag war ein Sonntag. Ich nutzte den Tag zum Skifahren in der näheren Umgebung und meldete mich kurz vor Ultimo in der Einheit. In Zivil. Kam nicht so gut an.

»Für mich sind Sie nur irgendein Zivilist. Sie sind für mich gar nicht vorhanden!«, beschied mir der Portopeeträger und ließ mich stehen. Da stand ich also erstmal, das war ich von der Wache ja schon gewohnt. Zehn Minuten später erschien der Mann wieder. »Sie sind ja immer noch in Zivil!«, stellte er überrascht, aber zutreffend fest. Ich stand wie festgeschraubt und rührte mich nicht. »Sie da, ich rede mit Ihnen!« – »Bitte?« – »Was?« –»Mit wem?« – »Wem?« – »Na, mit wem Sie reden.« – »Na, mit Ihnen!« – »Wer?« – »Na, ich!« Sein Kopf nahm inzwischen eine bedenkliche Röte an und ich meinte auch, dass der Umfang allmählich anschwoll.

»Entschuldigung, Herr Feldwebel, dass ich nicht gleich reagiert habe, aber Herr Feldwebel meinten doch, dass ich gar nicht vorhanden sei und da dachte ich, dass Herr Feldwebel mich unmöglich meinen kö…«

Der Gute schaute verdutzt: »Wollen Sie mich verarschen?«, herrschte  er mich jetzt an. »Sie nehmen auf der Stelle Ihren Seesack und verfügen sich in das Zimmer vom Spieß. In 5 Minuten treten Sie hier im Kleinen Dienstanzug an und melden sich bei mir. Abtreten!«

Man muss wissen, wann das eigene Blatt ausgereizt ist. In diesem Fall schien es angezeigt, den guten Mann nicht weiter zu triezen. Jedenfalls machte ich drei Minuten später in vorgeschriebener Montur meinen Antrittsdiener. »An Ihnen werden wir noch viel Freude haben«, meinte er trocken. Er sollte Recht behalten.

»Kerosin ist das neue Super«

Wir mussten einen Vortrag halten. Als Test, ob wir frei sprechen könnten. Thema: egal. Alles erlaubt von A wie Ameise bis Z wie Zeppelin. Mir fiel kein Thema ein. Es ging mir wie einem, der aus 1000 Starbucks einen aussuchen soll. Für mich sollte es schon was mit Luftwaffe zu tun haben. Ich wählte das Thema »Düsentriebwerk«. Ich hatte keine Ahnung, wie so ein Teil genau funktionierte, aber das konnte man sicher irgendwo nachlesen. Nur, wo ist irgendwo? Es stellte sich heraus, dass die Bibliothek nichts hergab und Wikipedia gab’s noch nicht – von Internet und Google ganz zu schweigen. Also meinen Freund Winni gelöchert. Der hatte zwar Ahnung von dem Thema, aber bei mir klemmte der Gehirnbolzen. Egal, Frechheit siegt. Wenigstens wusste ich, dass die Dinger ein Flugzeug schneller machten als ein Propeller. Und man tankte Kerosin, also Flugbenzin. Der durchführende Feldwebel, ein Ur-Franke, konnte meinem Vortrag nur bedingt folgen. Er kam von den Hubschrauber-Heeresfliegern und grätschte mir fränkelnd ins Wort: »Herr Gefraida, so ein Zeuch danggn wir ned. Gerosien is der billgsde Fusel, da verrega ja die deure Aggregade! Man danggd Subberbenzin, merggn Sie sich des!«

Komisch, immer wenn ich wieder mal den vor Unfug strotzenden Ausführungen von Annalena Baerbock folge – zumindest versuche ich, ihr zu folgen –, denke ich an diesen Mann. Ich konterte umgehend: »Sehr geehrtes Auditiorium, ich korrigiere meine Ausführungen und merke an, dass die Maschine des Feldwebels Superbenzin tankt. Die Luftwaffe hingegen verwendet weiterhin Flugbenzin, Fachleuten unter der Bezeichnung Kerosin geläufig!« Es folgte eine allgemeine, unterdrückte Heiterkeit – mit einer Ausnahme. Man merkte sich mich. Na, das konnte ja lustig werden. Das nächste Mal setzte es einen Anschiss, weil ich ohne Nachfrage in einer Arbeitsstunde beim Kiosk einen Filzstift besorgte. Kleine Geister warten auf so was. Egal.

Viel Feind, viel Ehr

Der Soldat muss wissen, wo der Feind ist. Manchmal steht er gut sichtbar direkt neben ihm, aber meistens muss er ihn suchen. Hat er ihn gefunden, wird er mit Granaten und Leuchtspur begrüßt. Darum tarnt er sich und verhält sich möglichst ruhig. Im Gelände hat er eine Karte und sucht zur Bestimmung des eigenen Standorts nach markanten Punkten. Also jetzt nicht das Kinn des Feldwebels, nein Bahnlinien oder Kirchturmspitzen. Besser noch Minarette, die waren damals seltener und darum eindeutiger. Wenn man wusste, wo man war, ging’s nach Osten. Da war der Gegner. Da musste man nicht lang nachdenken, das war befohlen. Vieles wurde befohlen. Die Lage zum Beispiel – »Herr Gefraida, folgende Lage: der Gegner befindet sich da und da. Sie bewegen mit Ihrer Grubbe dorthin und schalten das dordige MG-Nest aus. Ausführung!« Während ich meine Gruppe ausführte, warf man mir einen Nadelholzzapfen vor die Füße. Ich schaute den Mann fragend an. »Gefraida Goddaud, neue Lage – Handgranade von linggs!« Ich schaute mir den Zapfen an. »Tanne oder Fichte?«, fragte ich noch, dann trat ich darauf herum, so wie man eine Kippe austritt. »Was machen Sie denn da?«, ruft der Ausbilder entgeistert. »Ich opfere mich für meine Kameraden!«, gebe ich leichthin, aber nicht ohne Stolz über mein Heldentum zurück. So viel Opferbereitschaft hätte ich mir gar nicht zugetraut. War ein schöner Heiterkeitserfolg, brachte mir aber wohl keinen positiven Vermerk ein. Man kann nicht alles haben. Was tut man nicht alles für eine Pointe.

Befehl und Gehorsam

Gehorchen kann jeder, aber befehlen ist alles. Das muss man drauf haben. Bei mir war es so, dass ich falsch sozialisiert, sozusagen zivilisiert war – danke, bitte, Tür aufhalten, all das hat man mir als Kind eingetrichtert. Demzufolge klangen meine Befehle ungefähr so: »Herr Flieger, machen Sie bitte das und das!« – »Bei einem Befehl gibt es kein ‘bitte’! Wenn ich noch einmal höre, dass sie das Wort ‘bitte’ in einem Befehl verwenden, dann raste ich aus! Das heißt: Flieger Soundso, Sie machen das und das! Ausführung!« – »Verstanden, Herr Oberfeld! Flieger Soundso, Sie machen jetzt das und das! Ausführung! Wenn es Ihnen nichts ausmacht.« – Er rastete aus …

Nach drei Monaten kam ich zurück nach Münster. Ich wurde Obergefreiter, kein Fahnenjunker. Wieder Wachsoldat. Einmal Wachsoldat, immer Wachsoldat. Dennoch gab’s Abwechslungen, ich unterrichtete jetzt nämlich. »Sie haben doch eine ABC-Ausbildung und im Lehrgang doch das Unterrichten gelernt?« Eigentlich war es mehr eine Feststellung als eine Frage. »Ja …?« – »Gut, dann halten Sie am Montag als Durchführender einen ABC-Unterricht für das Luftwaffenmusikkorps« – ABC stand übrigens für atomare, bakteriologische (heute: biologische) und chemische Kampfstoffe. Als Durchführender war man Vorgesetzter aufgrund Befehl. So kam es, dass ein Offizier mir, dem Obergefreiten, Meldung machen musste: »Obergefreiter, ich melde x Soldaten zum Unterricht anwesend!« »Danke, rühren!« Nettes Gefühl. Ich konnte es aber nicht lassen: »Heute geht es um ABC-Waffen und wie man sich vor den Gefahren schützt. Wer kennt das Thema?« Keiner meldet sich. Ich hebe als Einziger die Hand: »Ich! Nächste Frage: Wer hat keine Lust auf das Thema?« Wieder bleiben alle Hände unten. Nur ich hebe erneut die Hand: »Wie es aussieht, bin ich wieder der Einzige. Na gut, Sie hatten Ihre Chance, ich nicht – ziehen wir es also durch!« Es wurde ein entspannter Unterricht. Wie man sah, so ging’s auch!

All things must pass –

Alles hat einmal ein Ende, auch so etwas Schönes wie die Zeit bei’s Militär! Am 30.09.1978 war Schuss … äh … Schluss! Wehrdienstende, jippiiie! Weil das ein Samstag war, wurden alle Wehrpflichtigen am Donnerstag ausgekeidet und am Freitag entlassen, einen Tag vorzeitig. Ich nicht! Natürlich hatte der gute Wachdiensteinteiler mir zum Wochenende noch einen Tag Wachdienst reingedrückt. Ihr erinnert euch sicher, dass war der, der noch eine Rechnung mit mir offen hatte. Aber Abiturienten können nicht nur diskutieren, sie können auch folgerichtig denken. Ich meldete mich ab zum Arzt. »Was ist los?«, wollte der Doc wissen. »Ich habe da einen bösen Pickel am Hinterteil. Tut scheußlich weh. Kann nicht sitzen. Außerdem reiben die Stoffe von Arbeits- und Dienstanzug sehr. Ich kann nur Trainingshose tragen. Schreiben Sie mich bitte innendienstkrank. Und bitte ausdrücklich erwähnen, dass ich nur Trainingshose tragen kann!« – »Kein Problem!«

Mit dem Attest ging ich schnurstracks zu besagtem Feldwebel. »Da steht innendienstkrank. Dann schieben Sie eben im Trainingsanzug Wache!« – »Nichts lieber als das, Herr Feldwebel. Ich muss allerdings Herrn Feldwebels Augenmerk auf die besonderen Wachvorschriften unseres Standorts lenken. Die regeln in Verbindung mit der ZDv dings-strich-staubig unter anderem den Wachdienstanzug. Danach muss der Wachsoldat den großen Dienstanzug tragen und das ist mir derzeit leider nicht möglich. Falls Herr Feldwebel mich also nötigen sollten, gegen die Dienstvorschriften zu verstoßen, müsste ich das leider melden. Und sollten der Feldwebel mich willkürlich daran hindern, wie alle anderen Wehrpflichtigen heute ausgekleidet zu werden, müsste ich gleich mehrere Beschwerden einlegen, unter anderem beim Wehrbeauftragten des Bundestags. Was soll’s denn nun werden? Machen Sie jetzt meine Entlassungspapiere fertig oder muss ich mich erst an den Verbindungsoffizier wenden?«

Dem Knirschen seiner Kiefer zufolge zermahlte er bereits Dentin (das ist der Stoff, aus dem die Zähne sind). »Gehen Sie mir aus den Augen! Treten Sie weg!« Ich krähte laut und fröhlich: »Zu Befehl, Herr Weltfebel!«, knallte mit den Hacken und drehte ab. »… und leck’ mich dort, wo die Sonne nie hin scheint«, fügte ich leise grinsend hinzu. Freitag Abend feierte ich bereits im KISS, meiner alten Weseler »In«-Kneipe. In Zivil, ohne Trainingshose. Das macht den Unterschied zwischen Feldlager und Lagerfeld. Ich hatte wieder die Kontrolle über mein Leben.

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