Es lebe der Sport!

»Das Spiel der Welt«

Für ›Diz‹ (1941–2021), der uns Sport »lehrte«

»Es lebe der Sport! Er is’ gesund und macht uns hoart!«, sang Rainhard Fendrich in den Achtzigern. In den 1950/60-ern war uns das weder bewusst noch unser Ziel. Gesund und hart waren wir sowieso und Sport machte einfach Spaß! Wir hatten Kraft und die musste irgendwo hin. Also raus! Erstens konnte Muttern es nicht leiden, wenn wir in ihrer sauberen Wohnung tobten und ihr alles durcheinanderbrachten und vollstaubten und dann wartete draußen ja auch das Leben auf uns! Damals gab es mehr Kinder als heute und alle mussten oder wollten raus – wir waren Cowboys statt Gameboys und weil wir so viele waren, traf man uns überall: den Helle, den Ralf, den Uli, den Schappi, den Wolle, den Pelle, den Mario und all die vielen anderen. Wir mussten uns nicht erst verabreden, bei schönem Wetter war man eben draußen. Schönes Wetter war, wenn’s nicht ›plästerte‹, also Bindfäden regnete.

Und schlank waren wir (damals), weil wir körperlich aktiv waren und auch mangels Naschwerk: Wir kamen auf jeden Kirschbaum, nur mit ‘ner ›Räuberleiter‹. Süßes gab’s nicht in den Mengen wie heute und bewegen taten wir uns wie beiläufig: beim Fangen und Abklatschen, beim Versteckspielen: »Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein! Hinter mir und vorder mir und auf beiden Seiten gildet nich’!«, rief man laut und hielt sich die Augen zu. Manche schummelten und ›lünkerten‹, das heißt, sie spickerten heimlich. Ab da lehnte man, als Sicherheit gegen Beschiss, an einer Mauer oder einem Baum, den Unterarm vor den Augen und fing an zu zählen. Je nach örtlichen Gegebenheit kurz oder länger. Bis hundert zählten wir so: einszweidreivierfünf-zehn-zwanzig-hundert!

Sportart Nummer eins aber war Fußball! Ich kannte keinen Jungen, der nicht auch kickte. Meine großen Brüder waren bereits bei den Null-Achtern – oder waren’s die 29-er? Egal. In dem einen Verein spielten jedenfalls ausschließlich Protestanten. Die bekamen dafür gelb. Nicht wegen Protestierens – nein, als Trikotfarbe. Gelbe Karten gab’s erst viel später und der Protest betraf ja nur den Glauben. Der trennte die Vereinszugehörigkeit genauso strikt wie sonntags die Kirche, in die man pilgerte: die Evangelischen spielten in dem einen Verein, die Katholiken im anderen. Evangelische spielten gegen Katholische, aber nicht ›bei‹. »Mischehen« zwischen den Konfessionen waren eher die Ausnahme. In meiner Familie gab es mal einen Aufstand, weil mein Vater meinen großen Bruder bei den ›Falschen‹ anmeldete: »Wie könnt ihr den Jungen bei den Katholen spielen lassen?!«, empörten sich meine Onkels. Ich hatte es da 1968 schon leichter – 08 und 29 waren inzwischen tatsächlich eine Mischehe eingegangen: die SV 08/29. Auf der Straße spielten jedenfalls schon vorher alle zusammen. Beim Aussuchen der Mitspieler wählte man seine Mannschaftskameraden nach Fähigkeiten, nicht nach Religion. Die zwei Kapitäne stellten sich gegenüber auf und gingen aufeinander zu, immer abwechselnd einen Fuß vor den anderen: »Piss – Pott – Piss …«, bis der Gewinner auf den Fuß des anderen stieg. Also vor dem Spiel. Der hatte dann die erste Wahl, was manchmal zur Belastungsprobe von Freundschaften geriet – man wollte gewinnen und da zählte eben nur das fußballerische Können und nicht persönliche Bindungen. Gehörte man nicht zu den zuerst Gewählten, wusste man Bescheid. Der letzte musste ins Tor.

Die Hackordnung war klar – höher als die Fußball-Asse rangierten nur zwei: der, dem der Ball gehörte und der, der die Ballpumpe besaß. Klar, ohne Ball lief nix, also auch wir nicht. Der mit der Pumpe war ähnlich wichtig, denn ohne Druck kein Spiel. Unsere hochbetagten Bälle mussten mehrmals nachgepumpt werden, neue konnte sich nur der Verein leisten. Der Ball war noch aus Lederstreifen (nicht aus Polygonen) zusammengenäht und hatte eine Gummiblase. Die stopfte man durch eine Aussparung in die Lederhülle. Vor allem das Herausholen der Blase war eine ziemliche Friemelei. War aber unerlässlich, wenn der Ball keine Luft mehr hielt. Wenn man Glück hatte, war’s nur eine Punktur, die konnte man flicken. Waren wir schon gewohnt vom Fahrrad (oder war’s umgekehrt?). Manche Blasen sahen aus wie unsere Fahrradschläuche: Flicken neben Flicken, die von unseren beträchtlichen handwerklichen Fähigkeiten zeugten. Lag’s am Ventil, war erst mal Sense mit Kicken, dann brauchte man eine neue Gummiblase. Über dem Ventil war eine Lasche an der Lederhülle befestigt, die klemmte man zwischen Leder und aufgepumpter Blase ein. Sollte wohl das Ventil schützen, wichtiger war sie aber für unsere Kopfhäute. Oft rutschte die Lasche raus oder riss sogar ganz ab. Egal, wir spielten trotzdem weiter. Erwischte man dann beim Kopfball das Ventil, bekam man einen Abdruck auf die Stirn und Schädelweh. Schlimmer war Regen, wenn das Leder sich vollsog und der Ball schwer wurde wie eine Kugel. Ließ sich eine Kopfballabwehr nicht mehr vermeiden und man musste sich im Dienst der Mannschaft opfern, schepperte es ordentlich in den Zähnen und im Oberstübchen– man sah erst mal alles doppelt. Vermutlich ist das die Erklärung dafür, dass man von einigen Profis wie Franz Beckenbauer, Günter Netzer oder Paule Breitner selten bis nie einen Kopfball gesehen hat – schlimme Erfahrungen aus der Jugendzeit!

Natürlich waren wir beim Fußballspielen nicht einfach der Deddi oder der Schappi – wir waren die damaligen Größen vom HSV, dem FC Köln, von ›Doatmund‹ oder von Schalke: Uns Uwe (Seeler), der Overath, der Wolle Weber, Karl-Heinz Thielen, Stan Libuda, Hoppy Kurrat, Sigi Held oder der Lothar! Nein, nicht der ›Loddar‹, sondern Lothar ›Emma‹ Emmerich. Das ist der, der ’66 in England mit seiner linken Klebe aus spitzem Winkel dieses Wahnsinns-Tor in den Knick gehauen hat. Gegen Spanien. Friede seiner Asche!

Oder Wolfgang Farian, Hans Tilkowski und noch viele mehr. Mein Spitzname war ›Didi‹. Den hat mir der Jupp Wink, unser Frisör verpasst. Immer wenn’s zum Haareschneiden ging (Fasson, einsfuffzich), wurden auch Männer (und kleine Jungs) gesprächig: wie Friedrichsfeld gegen Spellen gespielt hatte oder was man zur Aufstellung von Sepp Herbergers Elf sage? Fußball war Thema Nummer eins. Und so erzählte ich dem Frisörmeister bereitwillig von meinen neusten Fortschritten beim Hinterhof-Kick in der Parkstraße. Dass ich schon Fallrückzieher könne (so wie später Klaus Fischer) und Dropkicks und wie ich Elfer genau ins Eck der Teppichstange schießen könne, lange vor den Torwandzeiten im Aktuellen Sportstudio! Und weil ich (nach eigenem Bekunden) wieselflink und technisch versiert war, verpasste mir der Jupp den Spitznamen des Brasilianers Valdir Pereira. Ab da war ich ›Didi‹ – der erste Spitzname, den ich erhielt.

Fußball war das Größte! Wir kickten, wo immer es ging: auf der Straße, auf der Wiese hinter unserem Wohnhaus – wir fanden immer einen Platz. Waren wir allein, kickten wir den Ball gegen irgendeine Wand. Unermüdlich, ohne dass es je langweilig wurde. So lange, bis der Nachbar kam. Oder Herr Lanfermann. Das war der Verwalter der Wohnblöcke. Waren wir zu wenig für eine Mannschaft? Kein Problem, dann machten wir halt Elferschießen zwischen den Teppichstangen: wer zuerst 5 hatte (mit Nachschuss). Meistens wurden wir vertrieben, der Nachbar unten rechts wollte seine Mittagsruhe. Also wieder rein, solange Muttern außer Haus war. Ein paar Socken, fest zusammengedreht und fertig war das Spielgerät. Das Spielfeld reichte von meinem Zimmer bis über den Flur, hin ins Bad. Türrahmen und Kloschüssel waren die Abwehrreihe, der Heizkörper der Torwart, der schmale Spalt ringsum die Trefferfläche. Der sperrige Schuhschrank im Flur rechts das Mittelfeld. Freistoßtraining von meinem Schreibtisch aus, immer wieder, ohne Ende. Mit was man sich die Zeit vertreibt, tsss. Langeweile kam jedenfalls nicht auf.

Später dann, in der Schule, wurde es organisierter. Man hatte einen Sportlehrer (wenn man Glück hatte, einen ›richtigen‹) und geregelten Sportunterricht – im Zeugnis stand ›Leibesertüchtigung‹. Geräteturnen und Leichtathletik waren nicht so mein Ding. Ich war zwar in allen Sportarten recht gut (die Sieger- und Ehrenurkunden der Bundesjugendspiele sprechen dafür), aber über den Bock hopsen oder den Schlagball werfen – nein danke! Ich war zwar fit, aber doch nicht dafür, ohne Anlass 1000 Meter zu laufen. Für weitere Strecken nahm man das Fahrrad. Wenn ich rennen sollte, brauchte es einen triftigen Grund: zum Beispiel, wenn ich frech war und ich schnell Land gewinnen musste oder – wenn ich einem Ball hinterherlief. Daher waren es immer die schönsten Sportstunden, wenn Diz Geppert anwies: »Geräte wegräumen, die letzten 15 Minuten wird gespielt!«. Dann wurden wir flink beim Abräumen, bloß keine Zeit vergeuden! Man wählte zügig (ohne ›Piss-Pott‹) und los ging’s. Wir spielten Handball, Volleyball, Korbball und natürlich Fußball. Wenn uns damals einer nach unserem Lieblingsunterricht gefragt hätte, die Wahl wäre uns leichtgefallen.

Irgendwann betrachtete man die sportlichen Erfolge der großen Brüder und wollte es ihnen gleichtun. Beim Sonntagsfrühstück war das immer das Thema, wo man gestern oder wo man heute spielte. Da wollte man natürlich mittun können. Vor allem aber, wenn der Sportlehrer gleichzeitig Trainer der Friedrichfelder D-Jugend war. »Sach ma«, sprach mich Dieter Geppert im Unterricht an. »Du bist doch der kleine Bruder der Gottauts! Wieso spielst du nicht beim SV?«. Ich wusste keine Antwort und zuckte die Schultern. »Morgen bringe ich dir die Anmeldung. Du spielst ab sofort bei uns, basta!«. Und so geschah es, Widerstand zwecklos.

Der erste Spielerpass

Tja, so war er, der Diz. Ein harter Knochen. Einmal unterbrach er das Training mit scharfen Pfiff: »Kommt mal alle her!« Im Halbkreis standen wir keuchend vor ihm. Einen Spieler holte er aus unserer Reihe und stellte ihn vor uns hin: »Kuckt euch mal euren Kameraden an. Ihr seht alle aus wie aus dem Wasser gezogen und dieser Athlet – nicht ein Schweißtropfen, das Trikot furztrocken! Ihr pumpt wie die Maikäfer und unser Sportsfreund ist kein bisschen außer Atem!«. Der so Herausgestellte wollte sich schon in die Brust werfen ob des unerwarteten Lobes. Stolz schaute er in die Runde. Wir anderen kannten unseren Trainer besser –  der lobte selten und schon gar nicht im Training! Unser Instinkt täuschte uns nicht. Diz ließ den Jungen nass runterlaufen: »Du läufst jetzt Platzrunden bis du tropfst wie ein alter Gartenschlauch – und gnade dir Gott, wenn du bei Trainingsende noch einen trockenen Fetzen am Leibe hast!«. Wir grinsten uns eins und der Kollege machte sich daran, schleunigst einen ausreichenden Sicherheitsabstand zwischen sich und seinen erbosten Trainer zu gewinnen.

Das wichtigste Wort, dass wir von Diz lernten, war Ehrgeiz! Wann immer wir nachließen, ob beim Laufen, an der Kletterstange oder am Seil – wenn man glaubte, es gehe nicht mehr, hörte man seine Stimme: »Ehrgeiz, Jungs! Ehrgeiz!«. Und dann ging doch noch was. Er holte alles aus uns raus, der Herr Geppert. Geduzt, beziehungsweise ›gedizt‹ haben wir ihn nämlich nur hinter seinem Rücken. Für uns war er eine Autorität. Man glaubte ihm, was er sagte, vor allem, weil er alles selber vormachen konnte. Der Diz konnte stundenlang mit dem Ball jonglieren, ohne dass der je zu Boden fiel, egal ob mit dem Kopf oder dem Fuß. Seinen Grad an Perfektion habe ich in dieser Disziplin zwar nie erreicht, aber dafür wusste ich immer, wo das Tor war und dass das Runde ins Eckige musste, egal wie. Mehr war nicht wichtig, ich war Stürmer aus Leidenschaft. Ob mit dem Fuß, dem Kopf oder (wenn’s nicht anders ging) mit der ›Kiste‹, sprich dem Gesäß, war nebensächlich. Ob ein Vollspann-Strahl in den Winkel oder ein Abstaubertor, das Gefühl war jedes Mal wie ein kleiner O… – ahem! Klar wollte man den Ball genau dahin haben, aber trotzdem staunte ich jedes Mal ungläubig, wenn mir wieder eine ›Bude‹ gelungen war. Entweder man hat einen Torriecher oder nicht. Zwingen lässt es sich nicht. Letztlich sorgte der stetige Erfolg für die nötige Sicherheit beim Abschluss. Oder war es doch das ständige Üben, das Streben nach Perfektion?

Mein Bruder war vor jedem Spiel so aufgeregt, dass er aufs Klo oder spucken musste. Ich war da ›abgebrühter‹. Vielleicht lag’s an meinem speziellen Ritual der mentalen Vorbereitung. Jeden Samstag begab ich mich mit meinen Schuhen (Stollen: Adidas, Noppen: Puma) in unsere Kellerbar und schaltete das ›Aktuelle Sportstudio‹ an: Wim Thoelke, Rainer Günzler, Hajo Friedrichs, Dieter Kürten und wie sie alle hießen. Ich schaute die Berichte der Bundesliga und putzte nebenbei meine Schuhe. Ich glaube, vor- und nachher habe ich nie wieder so inbrünstig Schuhpflege betrieben, wie an meinen Fußballschuhen. Ging mir vermutlich so wie dem kleinen Locke aus »Locke und die Fußballstiefel« von Hasso Damm. Der glaubte auch fest an die Magie seiner Kickstiefel. Fußballer sind halt abergläubisch. Na, geschadet hat’s jedenfalls weder mir noch den Schuhen.

»Lockes« Ebenbild

Ach ja, der ›Locke‹ – ich liebte dieses Buch aus meinem Geburtsjahr, handelte es doch vom Fußball. Genau wie der kleine Junge im Buch war ich schmächtig und genau wie bei ihm waren meine Fußballstiefel auf einmal da. Vermutlich waren es Erbstücke von meinen großen Brüdern. Wahrscheinlich dachte mein Vater, man müsse erst einmal abwarten, ob ich im Fußball was tauge. Sonst wären die Ausgaben für neue Schuhe perdu und Fußballschuhe waren teuer. Die vom Puma-Dassler waren etwas billiger als die von seinem Bruder Adi, aber Uwe Seeler trug halt Adidas. Sie waren mir zu groß, meine ›Erb-Schleicher‹, also kam vorne Zeitungspapier rein: die NRZ (Neue Ruhr/Rhein-Zeitung). Der Rest der dicken Samstagsausgabe kam in die grünen Stutzen, als Schutz für die Schienbeine. Die Schuhe waren tatsächlich eher knöchelhohe Stiefel, mit Stahlkappen und genagelten Lederstollen.

Die ersten Stiefel

Die Nägel kamen bald schon durch die brüchige Brandsohle und verursachten blutige Stellen und taten höllisch weh. Hat mich gelehrt, trotz Schmerzen weiterzuspielen. Später, in der A-Jugend des Weseler SV, habe ich eine Halbzeit lang mit einem gerissenen Meniskus weitergespielt. Das Geräusch, als er abriss ich übersprang eine ›Sense‹, Schnitthöhe 50 cm verdränge ich heute noch aus meiner Erinnerung. Genau wie damals den Schmerz. Meniskus eingeklemmt (aua), das Bein geschüttelt, Meniskus wieder raus und weiter – tapfer, aber dämlich! In der Zwischenzeit lief das Knie voll. Hat mir buchstäblich die ›Karriere‹ versaut. Eigentlich wollte ich Jet-Pilot werden, Kampfflieger, wie mein Vater. Der Traum war dann mal dahin. Er flog eine Ju-88 (Jagdbomber), ich später nur ‘ne K-6 (Segelflieger).

An manche Menschen, Tore und Spiele denkt man sein Leben lang. In meinem allerersten regulären Fußballspiel (in der Friedrichfelder D1-Jugend) lief ich gefühlt zehn Mal ins Abseits. Meine Mitspieler waren stinksauer. »Hör mal« sagte Diz in der Halbzeit, »du musst aufpassen, dass du hinter dem Ball bist, wenn du angespielt wirst!«. Aha, dachte ich, das also ist Abseits. Endlich wußte ich, worauf ich achten musste. Ich dankte es dem Trainer und meiner Mannschaft, indem ich drei Tore schoss. Es folgten viele Spiele in den ersten Jugendmannschaften der SV Friedrichsfeld und des WSV. Dann das jahrelange Verletzungs-Aus. Ich kam nicht mehr in meine alte Form und hielt mich fern von allen Fußballplätzen. Auch war dann das Abi wichtiger und nachfolgend der Wehrdienst. Erst zu meiner Studienzeit in Regensburg packte mich wieder das Fieber. Per Zufall sah jemand, dem ich Starthilfe gab, meine Fußballschuhe im Kofferraum. »Du spielst Fußball?«. – »Ich habe mal gekickt«, wehrte ich ab, »ist lange her.«. Es stellte sich heraus, dass ›Fahrschul-Erich‹ bei der DJK in Keilberg spielte und die würden einen Stürmer brauchen. So landete ich wieder bei einem entscheidenden Trainer: dem Hofmann-Willi. In Bayern nennt man den Familiennamen zuerst. Der Mann glich in vielem unserem Diz.

Willi Hofmann brachte mich wieder stabil in Form. Selbst nach etlichen erneuten schweren Verletzungen. Ich weiß gar nicht mehr, bei wie vielen Sportärzten und in wie viele Kliniken und Reha-Einrichtungen ich auf der Pritsche lag. Sicher in zu vielen: Hellersen, München, Bad Cannstadt, beim Eichhorn in Straubing, beim Klaus Eder in Donaustauf, dem »Hecht-Ludwig«, Team-Doc vom Jahn Regensburg, der Lydia Flierl – die Liste ist lang. War’s das wert? Wahrscheinlich nicht, aber ich befürchte, ich würde alles wieder genauso tun. Wichtig war immer das Vertrauen in die eigene Person und ganz spezielle Trainer. Fördern, fordern und Empathie, – das macht gute Trainer aus. Der Willi war so einer, er schenkte mir sein uneingeschränktes Vertrauen: »Det, hast du noch Luft für 10 Minuten? Wenn ich dich jetzt bringe – machst du mir eine Bude?«. In einem wichtigen Spiel des ASV Undorf stand es trotz eigener Überlegenheit kurz vor Schluss immer noch 0:0. Ich hatte gerade 90 Minuten mit der Zweiten in den Knochen – zum Wieder-reinkommen nach ‘ner Reha. »Geht klar, Trainer – einen mache ich dir rein!«. Einige Minuten später fällt tatsächlich das 1:0 für uns. Von der Mittellinie aus erlaufe ich eine Steilvorlage. Ich spurte mit Ball ans linke Strafraumeck. Es ist heiß, mein Tank längst auf Reserve. Ich drehe im roten Bereich und pumpe. Der Verteidiger testet die Dehnfähigkeit meines Trikots. Schemenhaft sehe ich Kasten und Keeper und ziehe aus 15 Metern ab. Mit links. Beidfüßigkeit zu trainieren zahlt sich irgendwann aus. Die Pille zischt ins obere linke Eck. Das ›Gfui‹? G*** wie jedes Mal! Ich biege ab zum Trainer: »Und? Wos hob i gsogt?«. Mittlerweile sprach ich passables ›boarisch‹. – »A Hund bist scho, a verreckter!«, strahlt der Coach.

Dem Willi verdankte ich auch die Teilnahme am ›Ablösespiel‹ von Hans Dorfner gegen den 1. FC Nürnberg vor 5.000 Zuschauern. Wenige Wochen zuvor war ich (mal wieder) in der Reha. Dieses Mal Kreuzbandriss. Das vordere. Rechts oder links, – weiß ich nicht mehr, sucht euch eins aus. Eigentlich wollte ich aufhören, mir langte es. Dann war da dieses Spiel, das wollte ich mitnehmen. Also wieder rankämpfen. Warum er mich aufstellen würde, wurde er gefragt. »Der Det hat’s verdient. Basta!». War schon ein Erlebnis, vor einer solchen Kulisse gegen Profis und spätere Nationalspieler wie den Dorfner-Hans, den Günter Güttler oder Stefan Reuter zu spielen. Trainer der ›Clubberer‹ war der 2019 verstorbene, sehr sympathische Heinz Höher. Einlaufen mit Blaskapelle und Bayerischer Hymne. Ganz großes Kino, was der ASV Undorf an diesem herrlichen Tag im Sommer 1985 auf die Beine gestellt hatte.

Mit dem ASV gegen die »Clubberer«

Genauso tief in Erinnerung geblieben ist mir ein Jugend-Pokalendspiel auf dem neuen 29-er Rasenplatz im Stadion gegen Spellen. Die Spellener (mit Bernd Kuckhoff) waren haushohe Favoriten und wir eigentlich schon vorher abgehakt. Bald stand’s 0:1 und die Spell’ner feixten: »Wie viel wollt ihr!?». Wir holten tief Luft und dachten: »So nicht, Freunde! Das hier ist unser Revier!«. Ehrgeiz-Ehrgeiz! Kurz drauf holte ich einen Elfer raus. Rainer Herwegen verwandelt – 1:1. In der zweiten Halbzeit tändelte der Spellener Verteidiger als letzter Mann provozierend mit dem Ball am eigenen Strafraum herum, wollte mich vorführen. Die pure Überheblichkeit in Person. Vor meinem geistigen Auge läuft der Film ab wie damals: Ich remple ihn hart, aber fair und grätsche ihm das Leder weg. Jetzt nur noch der Torwart. Der läuft mir entgegen, stoppt am linken Fünfereck. Ich täusche einen Schuss an und drehe nach rechts ab. Der Torwart fällt ins Leere, ich habe freie Bahn. Die Kugel ist fast zu schnell – ich strauchle, aber im letzten Moment erwische ich den Ball und schiebe ihn, schon im Fallen, neben den rechten Pfosten ein. Ich rolle ab, springe hoch und juble los. Die Spellener reklamieren Foulspiel, aber der Schiri pfeift zur Mitte. Sekunden später stürzen sich alle auf mich. Das Gefühl? Einfach unbeschreiblich!

Wir hatten ihn gewonnen, den Pokal, gegen alle Erwartungen! Sind das nicht die schönsten Siege? Die, in denen man nicht nur einen übergroßen Gegner besiegt, sondern auch seine eigenen Grenzen überwindet. »Never give up!«, sagte Oli Kahn Jahrzehnte später mal. Da hat er Recht! Anschließend gab’s Limo und Pommes rot-weiß für alle bei Lackermann. Wir konnten es uns ja leisten, dünn wie wir waren.


Foto-Galerie

D1-Jgd SV 08/29 1969

 

D1-Jgd SV 08/29 1969

 

Frischgebackene Pokalsieger (1969)

 

C1- Meister 1970

 

Vizemeister Bestengruppe & Pokalsieger 1971

 

DJK Keilberg 1979/1980

 

ASV – 1. FCN (1985)

 

 

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